von Isabella Kreim
Viele Jugendliche kennen zumindest zeitweise das Gefühl, sich am liebsten im eigenen Zimmer einschließen zu wollen, um sich so auszuklinken aus dem Schulstress oder dem Frust am ungeliebten Ausbildungsplatz und auch den nervigen Auseinandersetzungen mit den Eltern. Ausbrechen durch Rückzug. Selbstisolation, wenn keine Kommunikation mit der Außenwelt mehr wünschenswert erscheint, wenn man sich unverstanden und fremd fühlt in der Welt.
Franz Kafka hat für eine solche Situation in seiner 1912 geschriebenen Erzählung „Die Verwandlung“ ein verstörendes Bild gefunden. Gregor Samsa ist über Nacht zu einem menschengroßen „ungeheuren Ungeziefer“ mutiert.
Regisseur Markolf Naujoks, auch verantwortlich für Ausstattung und Musik, macht in seiner spannenden Theaterfassung für das Junge Theater aus dem 35jährigen Stoff-Vertreter Gregor Samsa einen 16jährigen Jungen, einen Tagträumer, der an seinem Arbeitsplatz mehr schlecht als recht funktioniert, sich jedenfalls weder dort noch in seiner Familie verstanden und wohlfühlt.
Dabei bekommen wir diesen mutierten Jungen, das Insekt, nie zu Gesicht. Eine kluge Entscheidung, weil jede Monsterkostümierung eines Darstellers eher lächerlich wirkt gegen das Spiel mit der Vorstellung des Ungeheuers aus der Reaktion der Umwelt und das atmosphärisch inszenierte Grauen hinter der Tür, in der das veränderte Wesen vegetiert.
Mit einem genialen Zugriff richtet Markolf Naujoks den Fokus auf die Eltern und die Schwester des Jungen, die aus ihren Perspektiven ihr Entsetzen, ihre Ausgrenzung des Ungeziefers in ihrem Haus schildern, das sie schließlich nur noch loswerden wollen. Und sie müssen sich auch den Fragen stellen, in wie weit sie selbst die Verwandlung dieses Jungen verursacht haben.
Ist dies ein Tribunal, wie bei Fanz Kafka natürlich auch naheliegend, ein „Prozess“? Ist Paula Gendrisch, die Frau im grasgrünen Anzug eine Richterin? Die Beamtin einer Überwachungsbehörde? Viel eher ist sie eine Forscherin, die mit wissenschaftlicher Neugier, Akribie und Strenge diesen Fall der Metamorphose eines 16jährigen in einen Käfer untersucht und dazu die Eltern und die Schwester des Gregor befragt, Aktenordner auf den Tisch knallt, Beweismaterial in einem modernen Büro-Labor gesammelt hat.
Die Inszenierung legt über diese Befragungs-Situation ein komplexes Netzwerk aus Bildern und musikalischem Innenhalten.
Ungemein dicht und vielschichtig ist diese Inszenierung, packend, verstörend und hochaktuell, übrigens ohne platte Parallelen zum Ausnahmezustand der Pandemie-Quarantäne zu bemühen.
Foto: Ludwig Olah