von Isabella Kreim
Es beginnt als kuriose Farce. Die weiß geschminkten Figuren dieser Kleinstadt taumeln über die Bühnenschräge. Ein Bühnenarbeiter läuft mit einer Nebelmaschine hinter der Bühne vorbei oder durch den Orchestergraben und bläst bräunlichen Dampf: den Staub, den das Nashorn aufwirbelt, das durch die Stadt läuft.
Die Nebelmaschine und Sebastian Sommers Sounds aus dumpf-bedrohlichen Klängen und verfremdetem Schnauben und Trampeln, immer wenn Nashörner gesichtet werden, sind neben einer exquisiten Lichtregie bereits die einzigen Bühnenmittel, die Claus Peymann einsetzt, um Ionescos „Die Nashörner“ auf die Bühne des Stadttheaters Ingolstadt zu bringen.
Zu erleben ist großartiges Schauspielertheater ohne Firlefanz, ohne Projektionen, Musik, sogar ohne Mikroportunterstützung - eine Aufführung, die lebt und überzeugt durch die Genauigkeit schauspielerischer und sprachlicher Setzungen.
Und Enrico Spohn und Sascha Römisch aus dem Ingolstädter Ensemble sind die herausragende Säulen dieser Aufführung.
Einmal fällt das Wort „Lügenpresse“. Aber davon abgesehen liefert Claus Peymann keine Neudeutungen, Umdeutungen oder Aktualisierungen dieses 1959 uraufgeführten Klassikers des absurden Theaters, in dem Ionesco parabelhaft die Ausbreitung faschistischer oder stalinistischer Ideologien, von Sekten oder anderen fanatisierten Massenpsychosen beschreibt. Wir erleben, wie Menschen ihre zivilisatorische Hülle abstreifen und zu Bestien mutieren. Nashorn-Sein: Verspricht das nicht irgendwie Naturnähe und intuitive Kraft ohne intellektuelles Korrektiv? Oder einfach nur, dazuzugehören zu einem neuen Kollektiv. Am Schluss ist ausgerechnet Behringer, der an der Welt verzweifelte oder auch nur gelangweilte Frust-Trinker, der einzige Mensch, der nicht zum Nashorn geworden ist. Der letzte Mensch. Selbst Behringers große Liebe Daisy konnte dem Sog der Nashörner-Mehrheit nicht widerstehen.
Claus Peymann versteht sich nicht als Vordenker des Publikums und auch nicht seines Ensembles. Wofür diese Nashörner stehen, lässt Peymann bis auf eine Hitler-Paraphrase der grandiosen Victoria Voss als weiblich besetzter Büroangestellter Wisser offen.
Die Analogien zur Pandemie, zu Leugnern, Gerüchtemachern, Fanatikern, Angepassten und Mitläufern stellt sich auch ohne Aluhutträger oder andere aktuelle oder historische Zuordnungen ein.
Keine Frage: Die von Peymann etablierte Theaterwirklichkeit hat das Publikum erreicht und von der Gefährlichkeit solcher Entindividualisierungs-Mechanismen überzeugt. Langer Applaus und Standing Ovations für Claus Peymann und das Ingolstädter Ensemble.
Ingolstadt hat einen großen Theaterabend. Es gibt noch Karten für die nächsten Vorstellungen der „Nashörner“. Der Theaterfanatiker Peymann kann Oberliga auch mit dem Ingolstädter Ensemble - aber wohl mit Methoden von gestern. Beim offiziellen Teil der Premierenfeier erteilte er als einer der Theatergötter „Peter Stein, Claus Peymann..“ den Bestrebungen auch des Stadttheaters Ingolstadt, hierarchische Machtstrukturen abzubauen eine rigorose Absage. Intendant Knut Weber konterte. Und bekam dafür mehr Applaus als der „Theatergott“ Peymann.
Foto: Andreas Pohlmann