Khodadadians grandiose "Fegefeuer"-Inszenierung

Khodadadians grandiose "Fegefeuer"-Inszenierung

von Isabella Kreim

Ein kalt-metallener Raum, darin ein weiterer, der von den Spieler*innen auch während mancher Szenen heftig hin und her geschoben wird. Die Figuren im Raum stemmen sich gegen die Wände, schleudern durch den Raum und finden nirgends Halt. Der Satz von Marieluise Fleißer „In die Enge geht alles“ fällt einem dazu ein.
Mit dieser kongenialen räumlichen Setzung von Bühnen- und Kostümbildnerin Carolin Mittler hat Regisseurin Schirin Khodadadian eine großartige Spielsituation für Marieluise Fleißers erstes Theaterstück „Fegefeuer in Ingolstadt“ für das Kleine Haus des Stadttheaters Ingolstadt entwickelt.
Befremdlich und modern, expressiv und doch auch mit einigen humorvoll-grotesken Nuancen, die den Duktus der Ausweglosigkeit dieser Figuren aufbrechen.

Es geht um Jugendliche, die in der erdrückenden Enge dieser katholischen Kleinstadtgesellschaft wie z.B. dem Ingolstadt vor 100 Jahren mit ihren Restriktionen und dem aufkommenden Faschismus keine Perspektive sehen und, von der Elterngeneration unverstanden und im Stich gelassen, sich gegenseitig psychisch und auch physisch drangsalieren, vergeblich um Liebe und Anerkennung ringen, sich für erlittene Demütigungen an den genauso Unglücklichen mit Schwachstellen zu revanchieren versuchen.
Rudelgesetz hat Marieluise Fleißer diesen Gruppen-Mechanismus genannt. Ein Fegefeuer, in dem die Täter auch gleichzeitig Opfer sind.

Diese Figuren wollen explodieren in dieser Enge und implodieren doch nur. Sie können in der metallenen Box in der Box nicht aufrecht stehen, nicht erhobenen Hauptes agieren. Es entstehen ständig neue expressionistische Bilder von geduckten Menschen mit unnatürlich verrenkten Körpern.
Regisseurin Schirin Khodadian gibt diesen Figuren soviel Energie mit, soviel Willen und Sehnsucht auszubrechen, aber sie rennen und taumeln, ducken und verkrümmen sich in diesen engen Wänden dieser Box in der Box vergeblich. Denn alles ist in ständiger Veränderung. Selbst die Box ist keineswegs statisch, sondern wird von den jeweils anderen immer wieder in Bewegung versetzt, sodass die Orientierungslosigkeit zum Dauerzustand werden muss. Auch die Stühle helfen nicht, um einen Platz (im Leben) zu finden. Sie werden immer wieder umgesetzt, als Sperren oder Mauern zwischen den Menschen aufgetürmt. Auch diese immer wieder veränderten verqueren Positionen zueinander machen ein Miteinander fast unmöglich. Und so bleibt höchstens ein temporäres Zusammenklumpen von einigen gegen die oder den Anderen.

Mit dieser Dynamik setzt Schirin Khodadian den ganzen Leidensdruck, die Ausweglosigkeit dieser Figuren physisch und auch metaphorisch grandios um.
Fast verblüfft nimmt man in dieser großartigen Aufführung war, wie heutig parabelhaft die Fleißer vor 100 Jahren formuliert hat, wie schwierig es sein kann, selbstbestimmt einen Platz im Leben und zu einem Du zu finden.

Foto: Ludwig Olah

Kulturkanal am 12.12.2022
    
Ihnen gefällt dieser Beitrag?
Dann unterstützen Sie doch
den Kulturkanal!

zurück | Startseite | Macher | Unterstützer | Links | RSS-Feed | Kontakt | Impressum | Datenschutzerklärung
Akzeptieren

Diese Website verwendet Cookies. Durch die Nutzung dieser Webseite erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies gesetzt werden.