von Heike Haberl
Das Flamenco-Gitarrenduo „Café del Mundo“ wurde im Ingolstädter Altstadttheater frenetisch gefeiert.
Am Ende wollte das restlos begeisterte Publikum sie nicht mehr von der Bühne lassen – so hingerissen waren alle von diesem sensationellen Gastspiel-Konzert. Denn mit welcher Virtuosität, welcher Rasanz, welchem Farbenreichtum, welchen Ausdrucksschattierungen und Emotionsspektren Jan Pascal und Alexander Kilian den heimelig-intimen Raum des Altstadttheaters erfüllten, dürfte so kaum zu überbieten sein. Dabei hatte sich vorab bestimmt mancher Besucher die Frage gestellt, wie eine derart südländisch geprägte Musik, interpretiert von zwei fränkischen Künstlern, wohl klingen mag. Die eindeutige Antwort: Absolut genial, völlig authentisch, entwaffnend natürlich – und zugleich doch individuell, mit einer ganz faszinierenden, eigenen Note versehen.
„Winterhauch“ nennen die beiden ihr Programm, in Anlehnung sowohl an die kalte Jahreszeit als auch an ihre gleichnamige Heimat im Odenwald. Dementsprechend beginnt der Abend fast mystisch-geheimnisvoll, mit filigraner Zartheit in Form des Christmas Carols „What Child Is This?“ auf die altenglische Melodie „Greensleves“. Aber bereits hier schimmert pulsierend durch, was sich im Verlauf der facettenreichen Arrangements und Eigenkompositionen immer mehr bewahrheiten wird: Dass die Flamenco-Gitarre, die ursprünglich aus der Tanz- und Gesangsbegleitung in den Clubs bzw. auf der Straße kommt, die ungezähmte „wilde Schwester“ der klassischen Gitarre ist. Und die Ausnahmemusiker wissen mit den Eigenarten ihrer Instrumente unvergleichlich bravourös umzugehen, gestalten ein wundervoll poetisches Crossover-Programm, das nicht nur die guten und bösen Geister aus der Sagenwelt vereint, sondern auch kreativ Genregrenzen sprengt. Ihre Herangehensweise bleibt zwar in gewisser Weise in der spanischen Folklore verankert, setzt sich aber viel übergreifender, offener, freier, visionärer mit den Werken auseinander. Bis ins Feinste austariert kommen sentimentale filmmusikalische Themen wie „Ziemlich beste Freunde“ daher, das nostalgische „Moon River“ von Henry Mancini besticht durch sein pures Gefühl, seine schlichte Intensität, während der „Feather Song“ aus „Forrest Gump“ durch seelenerleichternde, schwebend-ätherische Luftigkeit bezaubert. Archaische Kräfte und perkussive Stärke entfesseln Jan Pascal und Alexander Kilian dagegen bei ihrer Version des englischen Traditionals „Scarborough Fair“ und einem mittelalterlichen Volkslied, welches Pascal in einer pyrenäischen Kathedrale entdeckte und für das Kilian sogar zur Panduri, einem äußerst ästhetischen georgischen Zupfinstrument mit eindrucksvoll lautenartigem Kolorit, greift. Aber auch die Vorliebe von „Café del Mundo“ für wummernde Technobeats oder ihr unnachahmliches Talent für großartige gitarristische Destillate von rockigen Balladen, etwa „With Or Without You“ von U2 und die lebensfreudige Hymne „Viva La Vida“ von Coldplay, kommen nicht zu kurz.
Als Meister der leisen und gleichzeitig metaphorisch sich entfaltenden Töne erweist sich das phänomenale Duo insbesondere bei seinen selbst geschriebenen Kompositionen, zum Beispiel dem Titelstück „Winterhauch“ in seiner kargen, spröde-rauen Schönheit und dem von einer toskanischen Ausstellung inspirierten „Spread Your Wings“, aus dem die Klänge wie von selbst zu entstehen, zu fließen, zu sprudeln scheinen. Auch vor ebenso gewagten wie fantastischen Stilfusionen schrecken Pascal und Kilian nicht zurück, indem sie in amüsant-fantasievoller Synthese demonstrieren, wie es sich anhören könnte, wenn sich Bach und Carlos Santana zu einer gemeinsamen Jam-Session träfen. Barock meets Latin Rock. Und welchen vollkommen anderen, leidenschaftlich-vibrierend bereicherten Tiefgang entwickelt erst die Adaption von Bachs „Air“ unter ihren begnadeten Fingern! Selbst Ausflüge in die arabische Welt geraten zu einfühlsamen Dialogen, in denen die orientalischen Melodiephrasen glutvoll-sehnsüchtig ornamentiert hin- und herströmen.
Zu ihrer persönlichen Höchstform allerdings laufen die Musiker bei ihrem tatsächlichen Flamenco-Repertoire auf. Von der heißblütig-wehmütigen andalusischen Romanze über einen gescheiterten Torero bis hin zu Astor Piazzollas argentinischen Glanzstücken „Oblivion“ und „Libertango“: Wie die Künstler sich dabei voll melancholisch ausgekosteter Passion in „ozeanischen Weiten“ verlieren, das Spannungsfeld zwischen folkloristischen Wurzeln und seriösem Anspruch mit ihrer einzigartigen Klangmagie energetisch aufladen, ist einfach atemberaubend. Immer wieder lassen sie eine Prise Verruchtheit durchblitzen, ohne dass ihnen die unvergleichliche Erhabenheit, mit der sie an den Saiten agieren, jemals abhanden käme. Während Kilian mit unerreicht draufgängerischem Aufbruch spielt, musiziert Pascal im Vergleich eine Spur gesetzter, dezenter, subtiler. Bei – oder vielleicht gerade wegen – aller Verschiedenheit ergänzen sich beide blendend, beflügeln sich gegenseitig, lächeln sich verschmitzt zu, reiben sich aneinander, feuern und stacheln sich an, lassen der halsbrecherischen Geschwindigkeit, der ungebremsten Fulminanz beim Wettrennen ihrer Instrumente freien Lauf. Was für eine brillante Kunstfertigkeit, welche unbändige Lust am musikalischen Sich-Austoben, die sich da Bahn bricht!
Obendrein genießen die rhetorisch versierten, nahbar-charmanten Musiker sichtlich die gemütliche, nahezu private Atmosphäre im Altstadttheater, den direkten, unmittelbaren Kontakt zum Publikum – nicht zuletzt bei den sprachgewandten, auflockernden Zwischenmoderationen (in denen sie sich immer wieder humorvoll selbst aufs Korn nehmen) sowie den entspannten, interessanten Pausengesprächen. Frenetischer Jubel, gefolgt von vier (!) Zugaben, so dass der grandiose Auftritt zu einem beinahe „selbstexpandierenden Konzertabend“ wird. Weltklasse-Niveau mit Wow-Faktor!