Premiere "Geschichten aus dem Wiener Wald"

Premiere "Geschichten aus dem Wiener Wald"

von Isabella Kreim

Ödon von Horvaths Volksstück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ hatte am Samstag Premiere im großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt.

Immer wieder agiert das Ensemble in choreographischen Bildern: repetitiv zappelnde Kleinbürger, festgefahren in ihren Gesten und Verhaltensweisen, eine dämonisch-intolerante Gesellschaft, die die Hauptfigur etwa in der Kirche als Märtyrer oder Frömmelnde bedrängen und ihr wegen der versuchten Abtreibung des unehelichen Kindes chorisch ins Gewissen reden oder in Slow-Motion-Überzeichnung den Alptraum einer befremdlichen, feindlichen Umwelt repräsentieren.
Marianne, die selbst über ihr Leben entscheiden möchte, wen sie liebt oder heiratet und dadurch in den sozialen Abstieg rutscht, bewegt sich in diesem verzerrten Gruselkabinett ihrer Mitmenschen wie eine Fremde, wie die einzige Normale unter Monstern, und sie drückt ihren Widerstand schließlich auch mit intensivem Gesang aus.

Diese Aufführung besticht durch den souveränen Zugriff, mit dem die junge Regisseurin Julia Prechsl die starken Emotionen und Abgründe erlebbar macht, die in Ödon von Horvaths harter Sprache unter der Oberfläche von Alltagsdialogen liegen.

Und alle waten im Wasser, das den gesamten Bühnenboden, wenn auch nur wenige Zentimeter hoch, bedeckt. Ob das als metaphorisches Bild für den rutschigen Boden von Menschen in einer ökonomischen und politischen Krise taugt, oder auf den Titel gebenden Johann-Strauss-Walzer und die „schöne, blaue Donau“ anspielt, gegen deren Wien-Klischees Horvath mit seiner bitteren Realitätsschilderung angeschrieben hat, ist sekundär.
Es ist wirkungsvoll als Spielform. Wer zu stürmisch läuft, schlägt lang hin und spritzt auch die Anderen nass. Im Wasser lässt sich weinselig lustvoll plantschen, überhaupt haben alle Aktionen unabsehbare Konsequenzen. Nass, kalt, brutaler, aber auch komischer als geplant. Das gibt der Aufführung einen Hauch spielerisch-komödiantischer Leichtigkeit und verstärkt gleichzeitig die Brutalität und Engstirnigkeit, mit der diese Menschen nicht nur verbal eine junge Frau wie Marianne ausgrenzen. 
Und es bricht den Realismus einer Straße im Wien um 1930 in einen imaginären Ort auf, der auch im Heute und überall angesiedelt sein könnte, wo wirtschaftliche, politische und soziale Krisen die Liebesbeziehungen und Lebensentwürfe der Menschen zunichte machen.

Das alles funktioniert auch und vielleicht nur deshalb so berührend, weil mit Clara Schwinning eine wunderbare Hauptdarstellerin als Marianne auf der Bühne steht.

Foto: Ludwig Olah

Kulturkanal am 27.03.2023
    
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