von Heike Haberl
In erster Linie ist das Saxophon heutzutage als das Jazz-Instrument schlechthin bekannt. Dass das variable, klanglich weit tragende Holzblasinstrument aber auch äußerst „klassisch“ klingen kann - wofür es ursprünglich erfunden wurde! -, zeigte sich beim Saison-Abschlusskonzert des Konzertvereins mit dem Münchner Arcis Saxophon Quartett in fulminanter, höchster Formvollendung.
Dabei war insbesondere die Freude von Altsaxophonistin Ricarda Fuss groß, diesmal selbst auf der Bühne des Theaterfestsaals zu stehen. Schließlich ist sie gebürtige Ingolstädterin und hat früher als jugendliche Konzertvereins-Abonnentin schon viele Aufführungen aus dem Publikum heraus erlebt. Umso glücklicher zeigte sie sich, mit ihrer Saxophon-Formation hier selbst ein Konzert gestalten zu können.
„American Dreams“ lautete das Motto – und so begann der Abend entsprechend mit dem Arrangement eines Streichquartetts von Antonín DvoÅ™ák, dem sogenannten „Amerikanischen“, in dem der Komponist Naturimpressionen, Vogelrufe und folkloristische Elemente miteinander verschmilzt. Diese vitale, befreiende, weitläufige Kraft, die ätherische Suggestivität, die frische Melodik unter dem Eindruck von vier Saxophonen wahrzunehmen, erweist sich als enorm spannend. Das Arcis Quartett weiß das ungemein elegant und verblüffend klangschön zu gestalten. Die vier famosen Musiker agieren wunderbar gesanglich, melodiös nuanciert, bald in fein ausgespielter Klangbalance, bald in pulsierend-vibrierendem Drive.
Am ausgefallensten präsentierte sich eine zeitgenössische Komposition des Niederländers Jacob Ter Veldhuis, das einzige Originalwerk des Programms. „Jacob TV“, so sein Künstlername, gilt als Meister darin, Stimmen und Geräusche in Musik zu verwandeln. Deshalb wird „Jesus is coming“ vor einem im Hintergrund laufenden elektronischen Backing Track interpretiert, in dem der Straßenlärm aus New York verarbeitet ist. Den Beat bilden zwei brabbelnde, glucksende und lachende Babystimmen, zu denen sich lautstarke, teils verzerrte Satzfetzen eines Straßenpredigers gesellen, der wütend seine Ansprache auf dem Times Square hält. Sogar ein kleiner Kirchenchor lässt sich bei genauem Hinhören erkennen. Ein fantastisch-verrücktes Stück, welches das Ensemble absolut kongruent, in rhythmisch faszinierender, experimentell-narrativer, atmosphärisch-akustischer Finesse und Dynamik umsetzt. Die ausgeklügelte Lichtchoreographie aus neonröhrenartigen Beleuchtungsstäben mit präzisen Farbwechseln tut dazu ihre übrige Wirkung.
Und natürlich wäre ein amerikanisches Programm – wie schon gesagt – nicht wirklich komplett ohne Bernstein und Gershwin. Die Suiten-Adaption von Bernsteins „West Side Story“ kommt dadurch sogar noch eine Spur gewitzter, agiler als in der originalen, sinfonisch-verdichteten Fassung daher.
Seinen eigenen Anspruch, dieses geballte Energielevel bei Hits wie „Mambo“, „I feel pretty“ oder „America“ permanent durchzuhalten, meistert das Arcis Saxophon Quartett mit Bravour. Zusätzlich fügt es weitere überraschende Elemente ein, integriert wirkungsvolle Kniffe wie den Start in den Seitengängen inmitten der Zuhörer, Fußstampfen oder anheizende Zwischenrufe. Vor allem aber fächert es die gesamte Palette der mal empfindsamen dann wieder zündenden, mitreißenden Ausdrucksmöglichkeiten bis zum letzten Ton gekonnt virtuos auf.
Gershwins „Porgy and Bess Suite“ nach der gleichnamigen amerikanischen Oper schlechthin erklingt dagegen in einem Arrangement von Sylvain Dedenon. Die großen gestalterischen und interpretatorischen Freiräume, die sich hier für Ricarda Fuss am Alt-, Claus Hierluksch am Sopran-, Anna-Marie Schäfer am Tenor- und Jure Knez am Baritonsaxophon eröffnen, spielen die vier KünstlerInnen in schier grenzenloser Gelöstheit ins Publikum hinein. Sichtlich und hörbar macht es ihnen unglaubliches Vergnügen, das alles mit größtem Feinschliff auszukosten, auszureizen und auszuloten. Da scheint „Summertime“ wie ein Lufthauch zu verwehen, während die genussvoll zelebrierten Blues- und „dirty tone“-Anklänge nur so in den Raum schweben. Das schwingt, das groovt, das berührt!