von Heike Haberl
„La Deutsche Dolce Vita“ - ein Identitätsmonolog von und mit Fabio Savoldelli, Ensemblemitglied des Stadttheaters Ingolstadt, im Studio im Herzogskasten:
Benvenuto – so heißt das italienische Wort für „Willkommen“. Und Benvenuto heißt auch ein Auktionator der besonderen Art, der nicht Dinge, sondern Erlebnisse an die Menschen bringen will. Ihn verkörpert der junge Schauspieler Fabio Savoldelli, der dieses Monologstück „La Deutsche Dolce Vita“ gemeinsam mit seinem früheren Studienkollegen, dem Schauspieler und Regisseur Leonard Dick, kreiert hat. Am Freitag feierte es seine fulminante Premiere auf der Studiobühne im Herzogskasten. Aufgewachsen in der Schweiz und seit einigen Jahren in Deutschland lebend, besinnt sich Fabio Savoldelli mit dieser ebenso rasanten wie tiefgründigen Ein-Mann-Show intensiv auf seine italienischen Wurzeln zurück. Denn seine Großeltern stammten aus der Lombardei und emigrierten als Gastarbeiter in die Schweiz. Und die Rolle des Benvenuto lässt, wie sich im Lauf des Abends immer mehr herausstellt, viele Bezugspunkte zu Fabio Savoldelli selbst aufscheinen.
Zunächst will er aber vor seinem Bretter-Wellblech-Verschlag mit verschiedensten Türen, Fensterläden und Klappen (Ausstattung: Milena Keller) natürlich die typischen Italien-Assoziationen wecken: Die Mafia-Welt des Paten, den rituellen Kult um den Papst, Pizza Margherita als Kochshow samt Mixer-Soundkulisse übers Mikro aus den Zuschauerreihen, weil die Zutaten und Requisiten plötzlich nicht mehr auffindbar sind. Nichts klappt so, wie es angeblich eigentlich geplant war. All das spielt Fabio Savoldelli mit herrlich zugespitztem, überzeichnetem Witz, so dass das Publikum aus dem Lachen schier nicht mehr herauskommt. Leidet exzessiv, weil er sich mit Chili-Fingern in die Augen gefasst hat, redet sich um Kopf und Kragen, imitiert köstlich die legendären Formulierungskonstrukte des Fußballtrainers Giovanni Trapattoni. Oder ist es doch das Eis auf einer Piazza im Sommer, das das italienische Lebensgefühl am besten repräsentiert, und das den Schauspieler zu einem irrwitzig komischen Exkurs über Michelangelos Fresko-Ausschnitt „Die Erschaffung Adams“ verleitet? Wie der Komödiant Canio aus Ruggero Leoncavallos Oper „Pagliacci“ möchte Benvenuto das Publikum durch amüsante Späße unterhalten – und muss sich doch eingestehen, dass diese gängigen, oberflächlichen Klischees bei weitem nicht ausreichen, um dem, was das Land Italien ausmacht, auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Auch dem Welthit „Laura non c'è“, zur Gitarre gesungen, mit seinem genau besehen ziemlich seltsamen Text gelingt das nicht. Immer mehr lässt Fabio Savoldelli die Masken fallen, hält sich und dem Publikum den Spiegel vor, holt aus zu einem vehementen, slapstickhaften und zugleich kritisch reflektierten Rundumschlag durch die italienische Geschichte, taucht Hals über Kopf ein in den Aufstieg und Fall Roms, Cäsars Imperium, den Vatikan, die Epoche der Renaissance mit all ihrer Kunst, Literatur und Wissenschaft, in die Commedia dell'arte, ins Leben des Freiheitskämpfers Giuseppe Garibaldi, in den Kampf um Liberalität und Unabhängigkeit während des Risorgimento, die Vereinigung Italiens. Dabei spart er auch den fatalen Faschismus unter Mussolini nicht aus, streift bedeutende Frauenpersönlichkeiten wie Schauspiel-Ikone Sophia Loren oder Maria Montessori, sucht nach den Ursprüngen der „Dolce Vita“ in der Automobilbranche, der Modeindustrie, der Kulinarik. Am Ende steht Fabio Savoldelli nicht mehr als Darsteller, sondern als Mensch, als er selbst auf der Bühne. Als Nachfahre italienischer Gastarbeiter in dritter Generation, die sich in der Schweiz inzwischen selbst als „Tschingg“ bezeichnet und zugleich Nähe und Distanz zum Heimatland ihrer Familie empfindet. Als einer, der im „Dazwischen“ seiner beiden Herkunftskulturen eine neue, individuelle Identität findet, der seine Wurzeln als Fundament für seine eigene Biographie begreift. Und schließlich kommen in einer anrührend gestalteten Interview-Collage auch Savoldellis Vater sowie einige Ingolstädterinnen und Ingolstädter zu Wort, die ebenfalls italienische Vorfahren haben.
„La Deutsche Dolce Vita“ - ein hinreißendes Vexierspiel mit Klischees, Konventionen und Erwartungshaltungen, das insbesondere durch seine entwaffnende Ehrlichkeit und ungeschminkte Authentizität besticht. Eine Stunde voll selbstironischem Humor und vielschichtigem Tiefgang, die dazu anregt, historische Entwicklungen zu hinterfragen – und sich mit seiner eigenen Familiengeschichte, dem eigenen kulturellen Erbe auseinanderzusetzen. Und ein sehr persönlicher, durch viel Herzblut geprägter Abschied von Ingolstadt – denn Fabio Savoldelli wird mit Abschluss dieser Spielzeit in die Schweiz zurückkehren, um dort den Master-Studiengang Expanded Theater zu absolvieren. Ja, die Wahrheit tut, so wie es im letzten Song heißt, manchmal weh. Aber sie hilft, sich selbst zu erkennen – und dazu zu stehen.
Weitere Vorstellungen im Juli gibt es am 5., am 9., am 15. und am 16.07., jeweils um 20 Uhr im Studio im Herzogskasten.
Foto: Ritchie Herbert