von Heike Haberl
Es war ein Ereignis von höchstem musikalischen Rang: Die Bamberger Symphoniker unter dem jungen Sieger des Dirigier-Wettbewerbs „The Mahler Competition“, Giuseppe Mengoli, brillierten am letzten Sonntag gemeinsam mit dem Weltklasse-Bariton Thomas Hampson bei den Audi Sommerkonzerten.
Erst einen Tag zuvor war er in Bamberg von einer 15köpfigen Jury feierlich zum Gewinner der „Mahler Competition“ gekürt worden. Und wenn man den jungen italienischen Dirigenten Giuseppe Mengoli am Pult der Bamberger Symphoniker erlebt, weiß man sofort, warum gerade ihm diese renommierte Auszeichnung zuerkannt wurde. Im Rahmen der Audi Sommerkonzerte wurde sein grandioses Preisträgerkonzert nochmals wiederholt und in den Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt gebracht.
Mit welchem Temperament, welchem Feuer, welcher Begeisterungsfähigkeit und welch durchdachtem, ausgeprägtem Sinn für klangliche Gestaltung der frischgebackene Preisträger zu Werke geht (der unter anderem als Assistent von Lorenzo Viotti wirkte), ist schlicht und ergreifend phänomenal. Bereits Joseph Haydns „Oxford-Symphonie“ sprüht unter seiner energiegeladenen Führung vor purem Esprit, spritzigem Charme und überbordendem Witz. Den greifen die Bamberger Symphoniker nur zu gerne, ja geradezu lustvoll auf, inszenieren die umrahmenden Allegro- und Presto-Ecksätze hinreißend fulminant, leidenschaftlich, quirlig und flüssig konturiert, wissen aber genauso durch butterweiche, samtige und auch tänzerisch-aparte Phrasierungskunst zu glänzen. Dabei kitzelt Giuseppe Mengoli in seinen schwungvoll-swingenden, geschmeidigen, bis schier zu den Fingerspitzen reichenden Bewegungen jedes noch so kleine, liebevoll ausgeformte Detail-Raffinement aus seinen Musikern heraus. Genau so inspirierend natürlich, so locker, frei und frisch muss Haydn klingen.
Mitten hinein in ein dichtes Panorama der menschlichen Liebesgefühle nehmen dagegen Alban Bergs „Sieben frühe Lieder“: Wie der Name schon verrät, handelt es sich um Jugendwerke, die der Komponist rund zwanzig Jahre später wieder aufgriff, zu einem Zyklus zusammenfasste und in eine Orchesterfassung brachte. Der Gesangssolist des Abends, Thomas Hampson, hegt für solche Werke eine ganz ausgeprägte Leidenschaft.
Alban Berg gilt als der „Romantiker“ der Zweiten Wiener Schule. Denn ihm gelang der Balanceakt, deren atonale Strukturen mit tonalen Elementen zu verschmelzen. In zeitgenössischer Literatur war Berg sehr bewandert, vor allem die Lyrik seiner Epoche kannte er genau. Aus diesem Vollen seines Wissensschatzes schöpfte er, um aus den Gedichten verschiedener Schriftsteller – darunter Hauptmann, Lenau, Storm oder Rilke – seine eigene „Liebesgeschichte“ zu kreieren, [die jede einzelne Skala, jeden immanenten Aspekt ausleuchtet.] Ursprünglich entstanden die poetisch-schwärmerischen Miniaturen für eine Frauenstimme. Bei den Sommerkonzerten erklangen sie jedoch aus dem berufenen Mund eines hochkarätigen männlichen Interpreten: Kein Geringerer als Thomas Hampson, über Jahrzehnte hinweg einer der größten Sänger unserer Zeit, machte die musikalischen Seelenflüge auf faszinierende Weise und mit ganzer Hingabe erlebbar.
Alle sehnsüchtige Morbidität, die schillernde Ekstase, den euphorischen Rausch, die schwelgerischen Gefühlsaufschwünge, die dekadente „Fin-de-Siècle-Opulenz“, die sich in diesen (in ihren Anforderungen durchaus heiklen) Melodien offenbaren, beschwört er mit der emphatisch geführten Stimmkultur seines wunderschönen, hell-warmen, schlanken und doch substanziell veredelten Baritons herauf. Der Versuchung des übertrieben heroischen Auftrumpfens widersteht er klug und wohlüberlegt. Umso intensiver, umso wirkungsvoller, geradezu blumig-metaphorisch lässt er die hochromantischen, oft naturnahen Episoden sich entfalten und in den Saal strömen, bringt die Phrasen und Gedanken der Gedichte in höchster Subtilität zur Geltung.
Von den Bamberger Symphonikern enorm farbenreich und fein nuanciert getragen, erweist sich Thomas Hampson nach wie vor als unangefochtener Grandseigneur des Liedgesangs. Und daraus spricht, wie man deutlich spürt und hört, tiefste Liebe, offene Neugier und absolute Überzeugung.
Ein erklärtes Vorbild von Alban Berg war Gustav Mahler. Ihm wurde - natürlich in Reminiszenz an den vorher schon erwähnten, nach ihm benannten Dirigier-Wettbewerb - der ganze zweite Teil des Programms gewidmet, genauer gesagt: den ersten beiden Sätzen aus seiner siebten Symphonie – und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Mahler schuf hier ein wahrhaft klangkosmisches Universum, das bis in ewige, unendliche, gewaltige Sphären vorzudringen scheint. Darin kommen noch einmal in rückhaltloser Gänze sämtliche atemberaubenden Vorzüge des Orchesters zum Vorschein, welche Giuseppe Mengoli dem Klangkörper unter passioniertem gestisch-mimischen Einsatz entlockt. Was für eine dunkle Dramatik, welche düster-markante Schattierungen, wieviel Grenzen auslotende Emotionsextreme, welch visionäre Sprengkraft legen die Musiker da an den Tag! Bis hin zur transzendentalen Entrücktheit und hymnischen Verklärtheit reicht ihre unerschöpfliche Ausdruckspalette. Da sind ausnahmslos Könner ihres Fachs am Werk, bis hinein jede einzelne solistische Passage sind die „Bamberger“ sozusagen in Idealbesetzung aufgestellt. Eine aufwühlend großartige, herrlich vollblütige Interpretation voll martialischem Impetus und irrlichternden, spukhaften Traum- und Naturbildern, fahl und grell, finster und diffus, starr und abrupt, still und skurril zugleich. Und gerade im zweiten Satz, der sogenannten „Nachtmusik“, blitzt manchmal sogar poetischer, bisweilen beinah volkstümlich anmutender, heiterer Zauber auf. Nicht umsonst gelten die Bamberger Symphoniker als eines der angesehensten Orchester in Europa. Ihrem Ruf machen sie an diesem Abend alle Ehre. Gemeinsam mit einem hervorragenden, vielversprechenden Nachwuchs-Dirigenten, der nicht nur einen fantastischen Verbindungsweg zu ihnen gefunden hat, sondern die Musik aus allen Perspektiven begreift und durchdringt. Nicht nur Mahlers „Weltensinfonie“ zeigt sich so von ihrer besten, mustergültigen Seite. Ein wahrlich grandioser Auftritt der Bamberger Symphoniker unter Giuseppe Mengoli und dem wunderbaren Bariton Thomas Hampson bei den Audi Sommerkonzerten.
Foto: Audi AG