von Isabella Kreim
Ein so ungewöhnliches Chorkonzert gab es wohl kaum je zuvor in Ingolstadt wie gestern zum Abschluss der Audi Sommerkonzerte als Gastspiel der Salzburger Festspiele mit dem Los Angeles Master Corale: ein von dem erfolglreichen Opernregisseur Peter Sellars inszeniertes Chorkonzert mit Werken von Sofia Gubaidulina und Heinrich Schütz.
Der „Sonnengesang“ nach Texten von Franz von Assisi der 1931 geborenen tartarischen Komponistin Sofia Gibaidulina, entstanden 1997, ist musikalsich alles andere als ein Freudenhymnus über die Schönheit und Kraft der Sonne und der Schöpfung, aber spirituelle Musik mit ungewöhnlichen Klangwelten, die hochemotional berührt.
Der Chor wird mit Ausnahme einiger Soli zur meist unisono singenden, vokalen Klang-Transzendenz, stark meditativ, unterstützt nur von Marimba und anderen Schlagwerken.
Dagegen erhebt ein Solocello - vielleicht als einelner Mensch - die Stimme, expressiv aufbegehrend, klagend, das Instrument auch klopfend. Julia Hagen macht das mit großer energetischer Kraft, auch in den zartesten Tönen, sie lädt wirklich jeden Ton mit Ausdruck und Bedeutung auf. Schließlich erhebt sich die Cellistin als Performerin, schlägt Gong, und andere percussive Instrumente um dann ebenfalls zu kontemplativer Ruhe, zu innerer Stille, zu finden.
Die Exequien von Heinrich Schütz entstanden 300 Jahre früher, mitten im Dreissigjährigen Krieg, der auch mit Seuchen wie der Pest und Cholera unendliches Leid und eine unvorstellbare Sterbewelle über die Bevölkerung gebracht hat. Es ist eine Trauermusik für einen Freund, einen Fürsten Reuss, der diese Totenmesse noch bei Hienrich Schütz bestellt hat und diese Bibel-Texte auch auf seinen Sarg schreiben liess. Ein erstes deutsches Requiem.
Der Chor sitzt zunächst schräg zur Rampe auf Stühlen wie eine Trauergemeinde. Davor ein langer weißer Tisch mit einem einzelnen Stuhl davor. Was zunächst wie ein Seminarraum aussieht, erweist sich als ergreifend genialer Einfall von Regisseur Peter Sellars. Diese weisse Liege ist die Bahre, das Sterbebett, an dem Angehörige von dem Sterbenden Abschied nehmen. Immer wieder legt sich ein Sänger, eine Sängerin auf diese Bahre, eine andere Person hält die Hand, umarmt ihn ein letztes Mal, hält seinen Kopf. in solistischen Duetten und Terzetten erleben wir den Abschied von einem Sterbenden, die letzten Momente zwischen Liebenden, von Vater und Sohn, der Geschwister von Bruder oder Vater....
Peter Sellars hat während des Corona-Lockdowns seinen Vater verloren, konnte von ihm nicht in diser Weise Abschied nehmen. Diese Abschiedsrituale, dieses Gedenken für die Covid-Toten, von denen man sich nicht verabschieden konnte, die von Peter Sellars inszenierte liebevolle Zuwendung, mit der sich die Hinterbliebenen Trost spendend umarmen, geben diesem Chorkonzert mit seinen abstrakt religiösen Psalmentexten eine ergreifend anschauliche Anbindung an die kollektiv unverarbeitete Trauer um die Covid-Toten und die aktuellen Kreigsopfer in der Ukraine.
Allerdings haben wir heutzutage auch ein anderes Zeitgefühl. 2 Stunden verhaltener, auch musikalisch im Stil der Zeit harmonisch und rhythmisch wenig abwechslungsreicher Trauergesang, sind eine Herausforderung an heutigen Erlebnis-Input.
Auch die Gestenchoreographie des Chores kommt nicht ohne Wiederholungen und auch Doppelungen aus. Hände nach oben gereckt, wenn von Himmel oder vom Heiligem Geist die Rede ist, Demutsgesten, Hände auf s Herz, Hände vors Gesicht vor Schmerz, wenn auch in immer neuen Formationen, Sitzend, kniend, sogar liegend, mal in synchroner Intensität, mal individualisiert - und in eindrucksvoller Lichtregie.
Und überwältigend schön ist, wie transparent und klar dieser 24stimmige Chor singt und auch solistisch und als singende Performer überzeugt.
Entschleunigung mit hoher Intensität und ein wirklich außergewöhnlicher Abschluss der Audi Sommerkonzerte!
Foto: AUDI AG