von Isabella Kreim
Wirklich schade, dass das Erzähltempo immer wieder durchhängt in dieser im Grundsetting zwischen Barock und Heute und der originellen Figurencharakterisierung so hervorragend gelungenen Inszenierung von Molieres „Der Menschenfeind“ von Tilo Nest.
Der rote Vorhang öffnet sich, ein rotes Tuch auf den Vorbühnenbrettern wird weggezogen, und bereits das erste Bild ist ein Eyecatcher, der keinen Zweifel lässt, dass wir hier eine dekadent vergnügungssüchtige, ziemlich schrille Gesellschaft erleben werden.
Die von Moliere gebrandmarkte Adelsgesellschaft war genau so hedonistisch auf Party aus wie es zumindest der jüngeren Generation der Gegenwart nachgesagt wird. Und so läuft eine Dauerparty, ein Rave mit dem gesamten Ensemble als Background den ganzen Abend über auf der Hinterbühne weiter.
Dicht aneinandergedrängt und wie Marionetten hampeln die Darsteller im Takt der Musik über die Bühne, und so entsteht sofort ein bildhafter Eindruck der Gesellschaft, mit der wir es hier zu tun haben werden. Aufgetakelt mit Allongeperücken, geschminkt mit roten Bäckchen, ziemlich grotesk kostumiert. Der Totentanz einer kaputten Gesellschaft.
Angewidert löst sich einer aus der Gruppe der Vergnügungssüchtigen. Alceste. Er hasst Partys und noch mehr verlogene Menschen, die sich gegenseitig schmeicheln, Sympathie und Wertschätzung heucheln, um hinterher über Abwesende herzuziehen. Und wer diese Konventionen nicht mitmachen will, sondern auf einen ehrlichen Umgang, auch auf ehrliche Kritik pocht, gilt als Menschenfeind wie Alceste.
Es macht große Freude der großartige Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger mit ihren wegen ihrer Antagonismen so witzigen Endreime zuzuhören. Diskokugeln und Riesen-Seifenblasen tragen außerdem immer wieder zu auch ästhetisch höchst reizvollen Bildern auf der von Ausstatter Robert Schweer ansonsten weitgehend leer belassenen Bühne bei. Und so gilt alle Aufmerksamkeit den Figuren in den opulenten Kostümen von Anne Buffetrille und Mirjam Ruschka, die die Stilbrüche zwischen Barock und heute genüsslich auskosten. Sonnenbrillen zu Allongeperücken, üppige Schalscheifen, goldglänzende MiIitärjacke zu Shorts, Powerbank versteckt im Reifrock, Smartphone im barocken Glitzerjackett.
Die Stärke und das große Vergnügen dieser Aufführung liegt in der sehr originell und präzise ausgearbeiteten Charakterisierung der Figuren. Man merkt: Der Regisseur Tilo Nest, der selbst ein hervorragender Schauspieler ist, hat exzellent mit dem Ensemble gearbeitet. Und er hat mit dem Grundmotiv „The party must go on“ und der pompösen Ästhetik seiner Kostümbilderinnen einen überzeugenden Zugriff zwischen Entstehungszeit und heutiger Vergnügungssucht gefunden. Wirklich schade, dass der Flow dieser Aufführung immer wieder durchhängt.
Foto: Björn Hickmann