von Isabella Kreim
„Identitti“. Aus dem Debütroman von Mithu Sanyal ist im Kleinen Haus des Stadttheaters Ingolstadt nicht nur ein akademischer Diskurs über Identitätspolitik, sondern ein anregender und sogar unterhaltsamer Theaterabend geworden.
Es gäbe Menschenrassen so wenig, wie es die Rasse von Wasser gibt oder das Geschlecht von Licht, doziert die Professorin Saraswati. Und beweist selbst das Gegenteil. Nämlich, dass die Hautfarbe selbstverständlich eine Rolle spielt, mit welcher Autorität man strukturellen Rassismus analysiert und ob man Gehör findet.
Denn die angesehene Professorin Saraswati heißt eigentlich Sarah Vera Thielmann. Sie hat ihre indische Abstammung nur fingiert, durch eine Hormontherapie ihre Haut dunkler machen lassen. Um den PoCs, den People of Colour, eine Stimme zu geben. Und sie behauptet, damit sogar den Schmerz und die Diskriminierungserfahrungen ihres adoptierten indischen Bruders mit zu repräsentieren.
Der Aufschrei über diese kulturelle Aneignung und die gefakte Identität ist groß. Ein Shitstom im Netz, Proteste der Studierenden, Sanktionen der Universität.
Am meisten persönlich enttäuscht ist die eigentliche Hauptfigur, Nivedita, Saraswatis in Deutschland geborene Studentin mit polnischer Mutter und indischem Vater, die sich als mixed-raced Bloggerin über race und sex Identitti nennt. Für Nivedita war Saraswati ein Vorbild auf der Suche nach ihrer eigenen Identität.
Mithu Sanyais viel beachteter Roman „Identitti“ ist ein scharfsinniger Diskurs auf Akademikerniveau mit den wichtigen Positionen antirassistischer und postkolonialistischer Studien der letzten Jahre.
Und erfreulicherweise und auch überraschenderweise ist daraus nicht nur eine Vorlesung für fortgeschrittene Semester geworden. Mithu Sanyals intellektueller Brainstorm enthält unter dem Argumentationsaustausch in Sachen Identitätspolitik auch ein komplexes Beziehungsgeflecht.
Regisseur Atif Mohammed Nour Hussein hat daraus einen spannenden, streckenweise sogar unterhaltsamen und witzigen Theaterabend gemacht. Wie gut, dass der Theorielastige Argumentationseifer immer wieder durch verbalen Sarkasmus und szenischen Witz gebrochen wird.
In dieser bunten, aktionsreichen Inszenierung ist „Identitti“ kein reines Debattierstück. Allerdings ist es durchaus herausfordernd, den differenzierten Argumentationslinien immer zu folgen. Aber tut es nicht einfach auch mal gut, zu erleben, auf welchem Level man öffentliche Debatten über „Migranten“ auch führen könnte?
Foto: Germaine Nassal