von Isabella Kreim
Die Wiese hinter der THI. Mit Rudimenten von kahlen Zweigen ist ein Terrain abgesteckt. Die kläglichen Überreste eines Urwalds vielleicht. Abgebrannt wie derzeit überall auch in Südeuropa, oder abgeholzt vor allem für die deutsche Papierindustrie. Der Wald im Land des indigenen Volks der Mapuche in Chile, das eine andere, spirituelle Beziehung zum Baum, zum Wald zur Natur hat und das 2019 beim Internationalen Gerichtshof eine Petition wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingereicht hat. Die Kunstinstallation von Maria Larrain und Mufa und die Wiese bilden einen Raum, der mehr mit den archaisch-rituellen Ursprüngen des Tanzes als mit einem Bühnenauftritt einer artifiziellen westlichen Kunstform zu tun hat.
Zwei Jahre haben die Earthans Erdbewohner dieses ungewöhnliche Tanzwerk „Der Tanz des Mondes auf der Erde“ entwickelt, das in einer schnörkellosen elementaren Körpersprache diesem Clash der Kulturen, dem unterschiedlichen Umgang mit der Erde zwischen der indigenen Bevölkerung und den Kolonisatoren nachspürt. Eine Inspirationsquelle war dabei auch die Aktivistin und Dichterin Rayen Küyen vom Volk der Mapuche, die zu dieser Premiere nach Ingolstadt gekommen ist.
Mit Earthans hat Tamar Grosz, in Chile geboren und in Israel aufgewachsen, auch ihren eigenen Wurzeln nachgespürt und gleichzeitig vor Augen geführt, was zivilisatorische Lebensformen, nicht nur durch wirtschaftliche Ausbeutung der Natur, für uns alle verändert und verschüttet haben.
2 Stunden später konnte man im Kulturzentrum neun die Kunstform Bühnentanz in einer intensiven, hoch emotionalen und ästhetisch reizvollen Produktion der italienischen Company Imperfect Dancers genießen.
Walter Matteini hat mit seinem 8-köpfigen Ensemble eine Fülle von oft simultan erzählten Minidramen kreiert. Es geht um aktuelle gesellschaftliche Befindlichkeiten: verzweifelte Soli der Einsamkeit, mal narzisstisch selbstverliebt mit Ballett-Grazie, und immer wieder die Suche nach Trost im Du, vor allem aber immer komplizierte Kontaktaufnahmen, glückliche Pas-de-Deux-Begegnungen, aber auch Ablehnung, Wut, Kampf, Rivalitäten mit dem Anderen, dazwischen kraftvolle Sequenzen kollektiver, fast beängstigender Einheit. Alles in einem dramaturgisch spannenden abwechslungsreichen Fluss, mit vielen Parallelgeschichten, und in aller choreographischer Finesse und Exaktheit blühen darstellerische Individuen auf wie Ina Broeckx, eine dramatische Heroine, die wunderbare Glanzlichter zwischen Bühnenpathos und komödiantischer Nonchalance setzen kann.
In Kooperation mit dem Jungen Theater wurde „Stories in Blue“ von Ceren Oran und Moving Borders aus München zu den Tanztagen in Ingolstadt eingeladen. Denn diese Performance ist auch für Familien und Kinder wunderbar aufschlussreich, was man ja nicht von jeder Aufführung von zeitgenössischem Tanz behaupten kann. „Stories in Blue“ sind zauberhaft spielerische Szenen, in denen es immer um das Spiel mit einer Kugel geht. Zunächst ist es ein Apfel - Erwachsene können an Adam und Eva und den Baum der Erkenntnis denken. Mit dem Apfel wird auf tänzerisch elegant-akrobatische Weise Ball gespielt, dann wird um ihn gerangelt. Und die beiden MusikerInnen an den Keyboards rechts und links von der Szene beißen schließlich genüsslich in ihre Äpfel, die ihnen niemand mehr streitig macht.
Dann sind es Glaskugeln, die mit ein bisschen magischem Zauber zum Spielobjekt werden. Eine große Glaskugel wird schließlich zum Ei, zum Nachwuchs. Die Tänzerin scheint diese Kugel zunächst nicht als Teil ihres Körpers annehmen zu wollen, schließlich gibt sie diese Kugel zur Geburt frei. Die Dame am Keyboard, eine Art strenge Lehrerin spielt Hebamme und legt die Kugel auf ein Kissen wie ein Ei im Nest.
Und nun schließen sich in lustigen Tableaux Familienszenen an, immer durch das Verschieben der blauen Wände zu neuen Überraschungen arrangiert. Wunderbar spielerisch erzählte Geschichten von Bällen und Kindern.