von Isabella Kreim
Wirklich schade, dass das Erzähltempo immer wieder durchhängt in dieser im Grundsetting zwischen Barock und Heute und der originellen Figurencharakterisierung so hervorragend gelungenen Inszenierung von Molieres „Der Menschenfeind“ von Tilo Nest im Stadttheater Ingolstadt.
Die Aufmerksamkeit gilt den Figuren in den opulenten Kostümen von Anne Buffetrille und Mirjam Ruschka, die die Stilbrüche zwischen Barock und heute genüsslich auskosten. Sonnenbrillen zu Allongeperücken, üppige Schalscheifen, goldglänzende MiIitärjacke zu Shorts, Powerbank versteckt im Reifrock, Smartphone im barocken Glitzerjackett.
Die Stärke und das große Vergnügen dieser Aufführung liegt in der sehr originell und präzise ausgearbeiteten Charakterisierung der Figuren. Man merkt: Der Regisseur Tilo Nest, der selbst ein hervorragender Schauspieler ist, hat exzellent mit dem Ensemble gearbeitet. Und er hat mit dem Grundmotiv „The party must go on“ und der pompösen Ästhetik seiner Kostümbilderinnen einen überzeugenden Zugriff zwischen Entstehungszeit und heutiger Vergnügungssucht gefunden.
„L3eonce und L3n4“ für junge Menschen ab 15. Dem Jungen Theater Ingolstadt ist wieder eine herausragende Neufassung eines Klassikers gelungen. Und zwar gar nicht banal aktualisiert und mit heutigem Jugendjargon auffrisiert. Georg Büchners Drama um zwei Königskinder, die angeödet sind von ihrem Leben und der von den Eltern gewünschten Heirat entfliehen, wird hier zu einer aufregend heutigen Bestandsaufnahme persönlicher Befindlichkeiten und gesellschaftlicher Krisen. Und zwar nicht platt ins Heute transferiert, sondern in eine virtuelle Zwischenwelt. Ein Game – ein Theaterspiel.
Das ist sehr komplex und hochambitioniert. Das Premierenpublikum, das allerdings weitgehend aus Erwachsenen besteht, war jedenfalls begeistert.
Das Autorenpaar David Moser und Natalie Baudy, die auch als Regisseur und Dramaturgin den Abend gestaltet haben, haben mithilfe von Georg Büchners Drama „Leonce und Lena“ ganz viele Themen aufgeschlossen. Private, sehr persönliche, wie sie vor allem, aber nicht nur, Jugendliche umtreiben. Ebenso wie gesellschaftliche Fragen wie Klima, Generationengap oder Herrschaft. Ihre Überschreibung gelingt ganz wunderbar komplex mit ebenso klugen, wie witzigen Texten und Handlungsvolten, bei denen durchaus auch eine Büchner analoge Ironie ihren Platz hat.
Mit enormer Spielfreude präsentieren Enea Boschen, Steven Cloos und Tim-Fabian Hoffmann den Witz und die Ernsthaftigkeit, mit der dieses Trio junger Mensch seinen Weg in einer komplizierten Welt sucht. Und Olivia Wendt fegt mit ihrem Hexenumhang wie ein irres Elterngespenst durch die Aufführung. Sehr anspruchsvoll. Und sehr kurzweilig!