„Die Geierwally“ als groteske Schaubuden-Moritat im KH des Stadttheaters Ingolstadt
Als groteske Schaubuden-Moritat mit Musik in einer Mischung aus Schauspiel und ...
Begeisterung, Applaus und Jubel wollten schier kein Ende nehmen. Diese Theateraufführung für junge Menschen ab 12 ist einfach umwerfend gut. Der junge Regisseur Lorenz Leander Haas hat den explosiven Theatertext „Das Gewicht der Ameisen“ des kanadischen Autors David Paquet mit dem vier-köpfigen Ensemble fulminant-lustvoll für das Junge Theater Ingolstadt inszeniert.
„Das Gewicht der Ameisen“ im Jungen Theater ist ein fulminantes Panoptikum darüber, wie junge Menschen in dieser durchgeknallten Welt ihre Wege und Irrwege zwischen Rebellion und Hoffnung suchen. Text, Inszenierung, Darsteller: alles großartig!
Das haut genau da rein, wo der Zustand der Welt zum Verzweifeln ist, in der Schule ebenso wie global. Die eine versucht es mit wütender Rebellion, der andere mit sanftem Optimismus. Und die Erwachsenenwelt ist so skurril, dass es auch einen Riesenspaß macht, den beiden Jugendlichen durch dieses Krisenchaos zu folgen.
Jeanne macht es wütend, wie demotivierend es in ihrer Schule zugeht, die als eine der schlechtesten Bildungseinrichtungen des Landes gerankt wurde. Ein Werbevideo auf der Schultoilette ballert sie außerdem mit der Botschaft zu, hässlich zu sein, wenn sie nicht das Shampoo X verwendet. Der Direktor verordnet zynisch eine „Woche der Zukunft“, bei der die Jugendlichen an einer Schulsprecher*innen-Wahl mit anschließender Kostümparty erfahren sollen, wie machtlos sie in Wirklichkeit sind, und dass Demokratie ganz schön frustrierend sein kann, weil ganz schnell der Populist gewinnt.
Olivier ist niedergeschlagen und von Alpträumen verfolgt, wenn er all die News über die Welt hört, vom Eisbärensterben bis zu Donald Trumps Bohraufruf in der Arktis. Olivier kann doch nicht die ganze Welt retten. Eine betrunkene Buchhändlerin schenkt ihm eine „Enzyklopädie des nutzlosen Wissens“, ein Kaleidoskop an Kuriositäten, für die er sich begeistern kann.
Aber was tun, wie es aushalten, wenn dann nicht die beiden auf ihre Weise Engagierten, sondern der Populist, der einfach „Pizza für alle“ verspricht, zum Schulsprecher gewählt wird? Den Ausgang der Wahl zu fälschen, ist dann wohl auch keine Option.
Gibt es denn nichts, was diesen Teenagern auch einfach Spaß am Leben macht? Soll man auf diese verkorkste Welt mit Optimismus oder mit Widerstand und Rebellion reagieren? Der kanadische Autor David Paquet hat ein grandioses Theaterstück, eine wütende Komödie geschrieben, die die Konflikte zweier sehr unterschiedlicher junger Menschen in einer Welt voller Krisen witzig, frech, tiefgründig auf den Punkt bringt. Es gibt keine einfachen Lösungen, aber es gibt Wege.
Die Inszenierung von Lorenz Leander Haas wirbelt temporeich durch ziemlich viele krasse Stimmungen und Situationen. Eine groteske Party im Jenseits mit Mini-Bällebad, Einhorn und Panflötenklängen treibt den Irrsinn drastisch auf die Spitze. Beklemmend wird es, wenn Jeanne beim Kostümball als Streichholz auftritt und Feuer zu legen droht – aber da sind auch noch Olivier als Meerjungfrau und der als singender Seelöwe verkleidete Direktor. Groteske Tragikomik bildet die Wege durch den Krisendschungel ziemlich passend ab. Komödiantisches Futter ergibt sich dadurch, dass zwei Darsteller, hier Benjamin Dami und Mona Kloos alle diese Erwachsenenfiguren spielen. Sensationell, wie Mona Kloos in wenigen Tagen die 8 Rollen für die erkrankte Olivia Wendt übernommen hat.
Enea Boschen als eine moderne Jeanne d’Arc kämpft mutig rebellisch gegen die Apathie des Status quo, immer bereit zu handeln statt zu quatschen. Steven Cloos sorgt für die nachdenklichen Momente als einer, der an der Welt leidet und lernt, sich an kleinen Schönheiten zu begeistern. Auch der Schüchterne hat eine Chance „den Optimismusmuskel zu trainieren“.
Die rasante Aufführung endet unerwartet leise und berührend. Jeanne und Olivier gehen zum Sterbebett der Mutter ihres Schuldirektors, der neben seinem Frust als Schulleiter ein liebevoller Sohn ist. Zum Schluss bleiben: Menschlichkeit und Empathie.
Foto: Christian Zils