Zwischen Entertainment und Bedrohlichkeit: Premiere von „Fahrenheit 451“ im Stadttheater

Zwischen Entertainment und Bedrohlichkeit: Premiere von „Fahrenheit 451“ im Stadttheater

In dieser Theateraufführung von „Fahrenheit 451“ sind wir  so oder so ähnlich mittendrin in der von Ray Bradbury in den 1950er Jahren geschilderten Zukunft, in der das Glücksversprechen einer Gesellschaft ein omnipräsentes kollektives  mediales Entertainment ist.  Bücher sind daher als Störfaktoren verboten, werden von Feuerwehrleuten aufgespürt und verbrannt. Diese Gesellschaft hat irgendwann aufgehört zu lesen. Denn Bücher können Zweifel an einfachen Antworten wecken, gar zum eigenständigen Denken anregen. Und so ist es nun verboten, Bücher zu besitzen und Bücher zu lesen.

 Regisseur Andreas Merz lässt in seiner virtuos mit vielen Ambivalenzen spielenden Inszenierung,  die letzten Samstag im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt Premiere hatte, keinen Zweifel daran: Dies ist keine Science-Fiction-Dystopie, wohl aber eine Welt, die in widersprüchliche Realitätswahrnehmungen zwischen Entertainment und Bedrohlichkeit zerfällt. Da gibt es die auf schwarzer Bühne mit grellem Licht und fast unerträglich anschwellendem Brummton inszenierten verstörenden offiziellen Brandstiftungen. Und gleichzeitig wird alles als zur Reality-Show.  Merz führt auch  die mediale Ersatzwelt für diese nicht mehr lesende Gesellschaft vor: die  Einsätze der Feuerwehr zur Bücherverbrennung als Live-TV, die tägliche Soap der Fernsehfamilie.

Und beklemmende Momente sind nicht nur, wenn die Frau bereit ist, sich mit ihren Büchern mitverbrennen zu lassen, oder der  Feuerwehrmann Guy Montag sein eigenes Haus anzünden soll, weil er inzwischen Zweifel hegt, ob es wirklich seine Aufgabe ist, nicht Feuer zu löschen,  sondern  Feuer zu legen. Beklemmend wird es in dieser Aufführung  auch, wenn das Ingolstädter Theaterpublikum in die Situation gerät, der  Verführung der fröhlichen Entertainmentstimmung zu verfallen.

In den auf der Rückwand gezeigten Staats-Werbeclips werden  das  sozialistische Aufbruchspathos und die  bundesdeutsche Hausfrauen-Werbung der Wirtschaftswunderjahre mithilfe von KI  kongenial in Retro-Ästhetik überlagert. In  den Straßen einer Großstadt hüpfen und tanzen weiss gekleidete Ballettmädchen voller Lebensfreude, und eine Hausfrau wie aus der Putzmittelwerbung der 50er Jahre erklärt, die Aufgabe der Frau sei es, daheim zu bleiben und zu lächeln.
Diese Glücksverheißung beinhaltet also auch reaktionären Rückschritt, zumindest  in Bezug auf die Rolle der Frau. Das sind schöne Details, mit denen Andreas Merz den Roman von Bradbury weiterdenkt und mit unserer eigenen Geschichte auflädt.

Innerhalb dieser im Spannungsfeld aus Entertainment und Bedrohlichkeit  fesselnd angelegten  Inszenierung folgt man auch gespannt den Hauptfiguren….

Foto: Björn Hickmann

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