Probenbesuch bei „Sonne, Luft, Asche“ von Elfriede Jelinek
Viktoria Voss beginnt mit einem Monolog der Sonne. Es macht der ...
So krass kann Theater sein! So heftig wie auf Schulhöfen und Jugendlichentreffs gemobbt und geprügelt wird. Und noch krasser, weil eine Pistole ins Spiel kommt. Zunächst in der Hand des Lehrers, der seinen SchülerInnen Schillers Freiheitsbegriff und jugendliche Gewaltbereitschaft anhand der „Räuber“ , den Rachemord anhand von dessen „Kabale und Lieb“ nahebringen will. Und mit vorgehaltener Pistole schlagen sie tatsächlich die gelben Reclamhefte auf und begeben sich in die Rollen von Franz und Karl Moor, Amalia oder des sich vergiftenden Liebespaar in „Kabale und Liebe“.
Aber wie soll Selbstermächtigung und Selbstreflexion mit Waffengewalt funktionieren?
Ein Lehrer als Amokläufer, der die ganze Klasse in Geiselhaft nimmt.
„Verrücktes Blut“, nach einem türkischen Wort für die überhitzten Emotionen von Jugendlichen, wurde in einer Bühnenfassung von Regisseur Nurkan Erpulat und Dramaturg Jens Hillje auf der Grundlage des Films „La Journee de la Jupe“ 2010 in Berlin uraufgeführt und gilt als Initialzündung eines postmigrantischen Theaters in Deutschland.
Für das Junge Theater Ingolstadt hat Regisseur Caner Akdeniz „Verrücktes Blut“ mit selten zu erlebender Vehemenz hochkochender Emotionen auf die Bühne gebracht. Dazu sitzt auch das Publikum auf Schulmobiliar in Arenaform auf drei Seiten um die Spielfläche. Gefühlt drei Dutzend Mal knallt ein Pistolenschuss und macht die Spannung fast unerträglich. Es geht hautnah ums Überleben. Manche Klischees werden gebrochen, manche bedient. Und immer wieder kippt die Situation. Und zwar lebensbedrohlich. Was diese Aufführung im Jungen Theater so sensationell macht: Neben drei Ensemblemitgliedern, Enea Boschen, Ben Engelgeer und Yasin Boynuince als Lehrer stehen mehrheitlich 5 junge Menschen ohne Theatererfahrung auf der Bühne, deren Herkunft und Diskriminierungserfahrung den Jugendlichen dieser Schulklasse ähnlich sind…
Foto: Ludwig Olah