Theaterabend mit großer Dringlichkeit: Kästners „Fabian“ im Stadttheater Ingolstadt

Theaterabend mit großer Dringlichkeit: Kästners „Fabian“ im Stadttheater Ingolstadt

Oberspielleiterin Mirja Biel hat  Erich Kästners Roman „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ als zeitlose Parabel über eine „Zeit aus den Fugen“ auf die Bühne des Stadttheaters Ingolstadt gebracht und mit einer heterogenen  Bilderfolge aus nahbaren Protagonisten und einem  skurrilen Pandämonium deformierter Gestalten auch unserer Wirklichkeit einen Zerrspiegel vorgehalten.

Erich Kästner wusste noch nicht, als er 1930 in seinem Roman „Fabian“ die gespaltene und gleichzeitig hedonistische Gesellschaft in Berlin am Ende der Weimarer Republik beschrieb,  wie schlimm es kommen würde, wenn die Nationalsozialisten erst an der Macht sein würden.  Und dieses diffuse Gefühl einer Zeitenwende zum Schlimmeren  dürfte ähnlich auch bei vielen heute sehr ausgeprägt sein. „Die Zeit ist aus den Fugen“ heißt es bei Kästner, und vom „Wartesaal Europa“ ist die Rede.
Erich Kästners Protagonist Jakob Fabian, wie Erich Kästner selbst ein als Werbetexter arbeitender angehender Schriftsteller, fühlt sich als Chronist, als Beobachter. Und Erich Kästner wird sich nach dem Krieg vorwerfen, nicht emigriert zu sein und geschwiegen zu haben,  selbst als er daneben stand, als auch seine Bücher im Mai 33 in Berlin und anderswo symbolträchtig auf den Scheiterhaufen verbrannt wurden. Nach dem Krieg hat er in einer Rede, die Mirja Biel an das Ende dieser Aufführung gesetzt hat, dieses eigene Schuldgefühl mit der Erkenntnis verbunden, die Nazis hätten 1928 bekämpft werden müssen, danach war er zu spät.
Sascha Römisch spricht diesen Epilog  berührend leise als bittere persönliche Selbsterkenntnis von Erich Kästner. Und gerade deshalb hallt diese politische Einsicht zu Wachsamkeit und Zivilcourage so eindringlich nach.

Die Inszenierung von Mirja Biel beginnt mit einer Textcollage aus Schlagzeilen von 1931, den Wahlergebnissen, den Zeitungsheadlines. Aber Mirja Biel und ihr Ausstatter Matthias Nebel setzen nicht auf ein historisches Ambiente vor der Machtergreifung, sondern auf das Prinzip der Collage, auf heterogene Versatzstücke quer über die Zeiten und Stile.

Doch einfach ist es nicht, Stimmungsbilder zu kreieren, die das Heute im  Damals atmosphärisch erzählen. Verstörend skurrile Elemente bilden die Folie für das menschliche Spiel der Protagonisten. Die aufgeheizte Atmosphäre der Straße  und des  Berliner Nachtlebens, der Bordelle und Revuen Ende der 20er Jahre auch mithilfe von Statisterie zeitneutral zu überschreiben,  gelingt im 1. Teil des Abends nicht immer ganz überzeugend. Manche Bildern zerfleddern trotz interessanter Lichtregie und Nebelschwaden ohne eine Gesamtwirkung zu entfalten.Vor allem im 2. Teil des 2stündigen Abends aber verstärkt der Fokus auf die Protagonisten die Intensität der Aufführung.
Matthias Gärtner als Fabian führt uns mit intellektueller Gelassenheit,  Witz und  Selbstironie und seiner sympathischen Direktheit durch das Geschehen. Herrlich wie er verspielt gelangweilt zu tänzeln beginnt, während er seinem Boss zuhört.  Besonders gelungen sind auch die Liebesszenen als  fröhlich-körperliches Toben über die Bühne und zart-geistreiche Annäherung  zwischen ihm und Edda Wiersch als Cornelia. Eine klare, selbstreflektierte Persönlichkeit ohne Illusionen. Inszeniert ist auch die Utopie einer glücklichen Dreierbeziehung zwischen Fabian, Cornelia und Labude.
Auch der Stephan Labude von Marc Simon Delfs ist ein Sensibler, der selbst seinem Freund Fabian gegenüber nur schwer seine Liebesenttäuschung eingestehen kann. Dann aber powert Delfs mit der Verzweiflung eines Aktivisten, der weiß, dass er nicht viel wird ausrichten können über die Bühne, greift selbst zur Gitarre, um mit Rockakkorden sein politisches Engagement zu untermalen. Berührend sein Scheitern. Er streift alles ab, was ihn mit dieser Welt verbindet. Seine Nacktheit ist ein berührendes Bild für sein Scheitern. Fabian wie Labude  gehen an der Zeit zugrunde.

Am Ende wieder ein starkes, beklemmendes Bild: Das Feuer für die Bücherverbrennung brennt bereits. Und das hervorragende Protagonistentrio Matthias Gärtner, Marc Simon Delfs und Edda Wiersch hat sehr nachvollziehbar  vor Augen geführt: Wie verhält man sich in so einer Zeit, in der humane und demokratische Werte in Gefahr sind?  Mit kritischer Wehmut zuschauen, Widerstand versuchen oder einfach das Beste für das eigene Leben daraus machen?
Mit „Fabien oder der Gang vor die Hunde“ ist Mirja Biel ein Theaterabend  mit großer Dringlichkeit gelungen.

Foto: Kerstin Schomburg

Theaterabend mit großer Dringlichkeit: Kästners „Fabian“ im Stadttheater Ingolstadt