Nachdenken über „Madame Bovary“

Nachdenken über „Madame Bovary“

Über die Nachwirkungen der Zwänge des 19. Jahrhunderts für das Leben einer Frau von Heute  wird am Stadttheater Ingolstadt auf der Bühne nachgedacht. „Madame Bovary“ nach dem Roman von Gustave Flaubert hatte letzten Freitag im Großen Haus Premiere.

Was hat uns ein Roman aus dem 19.Jahrhundert heute noch zu sagen? Welche Spuren finden sich noch von der Abhängigkeit der Frauen von ihrem Ehemann, den gesellschaftlichen Konventionen, den Zwängen und der Isolation, die Haushalt und Kinderbetreuung darstellen können, wenn man eigentlich von einem Leben im Rausch, von leidenschaftlicher Liebe, Abenteuern und  von einem aufregenden, und auch luxuriösen  Leben in einer Großstadt träumt und in einem Kaff lebt, in dem so wenig los ist, dass man nur depressiv werden oder sich in einen Konsumrausch stürzen kann.
Dies untersucht Regisseurin und Ingolstadts Oberspielleiterin Mirja Biel mit ihrer Bühnenfassung und Inszenierung von „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert aus dem Jahr 1857 und Texten von Tine Rahel Völcker, die eine heutige Version des Romans geschrieben hat….

Und so beginnt diese Aufführung auch visuell mit einem sehr allmählichen Eintauchen in   das  auch körperliche Eingeschnürtsein in Korsett und Krinoline und  mündet  in Emmas fulminanten Ausbruch  aus dieser langweiligen Provinzenge in das Plädoyer für  ein selbstbestimmtes Leben. Während Flaubert seine Protagonistin noch wie fast alle Romanheldinnen dieser Zeit im Selbstmord enden ließ, nachdem ihre Liebhaber  sie verlassen haben und sie die Familie finanziell ruiniert hat. Sarah Schulze-Tenberge als Emma stirbt einen theatralischen Vergiftungstod, um dann mit den Worten „Das ist nur Quinoa, kein Arsen“, aufzustehen und sich in eine alternative, heutige Wirklichkeit zu stürzen. Das körperfeindlich Korsett mit der riesigen Krinoline und auch die langen Haare sind weg. In Turnschuhen, rosa Kapuzenshirt und Kurzhaarfriseur rockt sie sich auch körperlich in einen Zustand der Befreiung und Selbstermächtigung. Sehr eindrucksvoll!
Der Theaterabend besteht also weniger  aus einer Dramatisierung des Romans. Wir erleben auf der Bühne das Ergebnis der Auseinandersetzung des Regieteams und des Ensembles mit diesem Stoff von Flaubert – mit dem Einsatz effektvoller Theatermittel wie der famos die Situationen puschenden  Musik und den Songs von Arpen Daks….

Man kann  sich an diesem Abend aber durchaus manchmal fragen: Warum hat man nicht mehr vertraut auf die anschauliche Aussagekraft des Romans und darauf, dass das Publikum selbst Bezüge zur eigenen Lebenswirklichkeit und Sozialisation herstellen könnte?
„Madame Bovary“ am Stadttheater Ingolstadt als Reflexion über die Wurzeln weiblicher Dilemmata im  19. Jahrhundert mit der positiven Botschaft, wie eine Emma von heute ihr Leben selbst in die Hand nehmen könnte.

Nachdenken über „Madame Bovary“