„Die kleine Meerjungfrau“ im Theater am Glacis

„Die kleine Meerjungfrau“ im Theater am Glacis

Sie muss den Prinzen weder heiraten noch umbringen, um wieder eine Stimme zu bekommen. Sie muss sich auch nicht entscheiden, ob sie lieber als Meerjungfrau mit Flosse unter  Wasser oder als Mensch mit zwei Beinen an Land  leben will. Und sie könnte auch versuchen zu fliegen wie die coole Möwe.

Die Regisseurin und Autorin Katharina Grösch hat Hans Christian Andersens Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ mit Coming- of-Age-Fragen eines von allen Seiten mit Ratschlägen und Erwartungen bedrängten Mädchens umgeschrieben und mit viel Märchenmagie und Witz für das Jungen Theater Ingolstadt inszeniert. Letzten Samstag war Premiere im Theater am Glacis. Die neue Spielstätte hat damit ihre erste Bewährungsprobe einer Eigenproduktion des Stadttheaters Ingolstadt bestanden.

Nebelmaschinen dürfen dort nicht eingesetzt werden. Es fehlt aber nicht an Märchenmagie für die diesjährige Familienproduktion vor Weihnachten. Die Bühne von Benjamin Schönecker ist eine Black Box, in der Fische, Quallen und Seifenblasen magisch leuchten. Ein  Schiff auf der Bühne gerät anschaulich in einen Sturm. Mit einer Puppe spielt der Prinz sein Beinahe-Ertrinken. Es gibt viel zu sehen bei den raschen Wechseln zwischen Unterwasser- und Menschenwelt. Und bei den Kostümen von Veronika Bleffert!  Die sind  bunt, schräg und gespickt mit witzigen Recycle-Details. Der König trägt einen Faltenrock aus einem schrecklich altmodischen Blümchenstoff, die Nixenschwester Ärmel aus einem roten Badezimmerteppich, die Meerhexe hat Fischstäbchen auf der Brust, der Diener des Königs Besteck auf der Livreejacke.

Der Komponist Cico Beck und der Musikalische Leiter des Stadttheaters Tobias Hoffmann zaubern als Live-Band Unterwasser- und Sturmgeräusche auf die Bühne  und es gibt auch einige Songs, mit denen die namenlose kleine Meerjungfrau über ihre Wünsche und Träume sinniert und der Prinz schließlich einstimmt. Und die Meerhexe singt ihre Verführung auch. Das Nixenmädchen will trotz aller Warnungen und einem diabolischen Deal mit der Meereshexe die vertraute Umgebung verlassen und fremdes Terrain entdecken. Denn, dazu fordert diese Version des Märchens auf: Selbst entschieden, wer und wie man sein weil  und wo man leben will. In der Unterwasserwelt  oder an Land oder vielleicht in den Lüften. Egal,  was die anderen sagen. Die Nixen-Oma zu der kleinen Meerjungfrau oder der König zu seinem Sohn, dem Prinzen. Die Warnungen sind sowieso fast  wortgleich:  Dass die jeweils anderen keine Seele haben. Und dass sie versuchen, dem Wesen aus der anderen Welt durch einen Kuss die Seele aus dem Leib zu saugen.

Die Liebe scheint aber ziemlich schön zu sein, schwärmt Steven Cloos als ältere Schwester und Diener des Königs. Es beginnt wie eine  Krabbe im Magen…
Und Nixe und Diener, Hexe oder Braut, Nixen-Oma oder Menschenkönig sind zum Schluss sowieso  eine Möglichkeit des jeweils anderen. Nicht nur weil Steven Cloos, der so wunderbar von der Liebe geschwärmt hat, mit dem schnellen Umzug von Nixe auf Diener und zurück nicht mehr hinterher kommt.

Die  Doppelbesetzungen  sind nicht nur Sparmaßnahme, sondern erzählen, dass jede dieser Figuren auch eine Gestalt aus der Gegenwelt  sein könnte.

Vor allem aber: Die Geschichte endet nicht so  unerbittlich grausam wie im ursprünglichen Märchen, sondern mit der Botschaft an alle Kinder: Du darfst mal dies sein oder das. Du kannst Schwimmen lernen, obwohl Du aus einer Familientradition von Nichtschwimmern kommst wie der Prinz. Du darfst ausprobieren, wie die anderen leben.

Unterhaltsam, amüsant, sinnreich und ein Augenschmaus. Und im Foyer stehen ein Piratenboot und viele Requisiten zum Weiterspielen für  die Kids bereit. Unterhaltsam, amüsant, sinnreich und ein Augenschmaus!

Foto: Germaine Nassal

„Die kleine Meerjungfrau“ im Theater am Glacis