Selbstisolation: Emma Mae Zichs „Im Sog-Hikikomori“ im Studio des Stadttheaters Ingolstadt

Selbstisolation: Emma Mae Zichs „Im Sog-Hikikomori“ im Studio des Stadttheaters Ingolstadt

In Japan nennt man dieses Phänomen der sozialen Selbstisolation  Hikikomori. Wir sprechen meist sehr allgemein von Vereinsamung.
Die junge Autorin. Choreographin und Regisseurin Emma Mae Zich, die an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg studiert, hat über das Phänomen dieses Rückzugs von Sozialkontakten einen Theaterabend in 7 Impressionen unter dem Titel „Im Sog – Hikikomori“ geschrieben und für die Reihe „New Works“ im Studio des Stadttheaters Ingolstadt auch selbst inszeniert.

Der 35jährige H. wie Hikkomori hat sich in einen rosafarbenen Plüsch-Overall mit Kapuze eingeigelt und verlässt sein Zimmer nicht mehr. Selbst mit seiner Mutter, bei der er wieder wohnt, spricht er nur durch die Tür.
Zich denunziert diesen Hikikomori  H. nicht. Im Gegenteil. Sie gibt ihm  die Begabung der genauen Beobachtung, in gewissem Maße auch der Selbstreflexion und der poetischen Sprache mit.  Etwa wie er den Sonnenstrahl in seinem Zimmer beobachtet und beschreibt oder selbst Metaphern für seine eigene Befindlichkeit erfindet.

 Einen solchen Stillstand eines Lebens mit dem Fehlen aller sozialen Kontakte auf die Bühne zu bringen, könnte so langweilig und gleichförmig sein wie der Tagesablauf dieses H.
Zunächst: Es stehen drei Personen auf der Bühne.
Autorin Emma Mae Zich hat diesem H. ein Alter Ego beigesellt, Jack, der Entertainerqualitäten hat, wie auch sein goldenes Shirt unter dem Pinkfarbenen Bademantel signalisiert. Er versucht den im Plüsch eingekuschelten manchmal zu aktivieren, versucht es mit Kindheitsspielen, mit witzigen News oder Therapeutenfragen. Sebastian Fink spielt diesen Jack als wachen Beobachter und mit spielerischer Leichtigkeit, etwa wenn er seinen Bademantelgürtel als Krawatte bindet, um H. mit seinen Auftritten zu unterhalten.
Und dann ist da noch die Mutter Kiki.  Wir erleben die Scham, wie sie einer fiktiven Nachbarin gesteht, dass ihr Sohn an den gesellschaftlichen Erwartungen gescheitert ist. Renate Knollmann holt aus  der  Hilflosigkeit und Verzweiflung der Mutter alle schauspielerischen Nuancen heraus.

Auch szenisch hat sich Emma Mae Zich einiges einfallen lassen. Als wichtigstes Spielelement hat Ausstatter Felix Glawion einen Metall-Türrahmen auf Rollen zur Verfügung gestellt. Er wird zum Scharnier zwischen H. und seiner Mutter.
Eine Live-Kamera gibt weitere Einblicke auf 3 Monitoren. Wir sehen die Gesichter von H. und Jack in Großaufnahmen, auch mal durchaus komisch, wenn Sebastian Fink die Wohnungsbeschreibung der Mutter mimisch kommentiert.   
Philipp Lemke ist in seinem Phlegma manchmal kindlich retardiert und scheint sich durchaus wohl zu fühlen in seiner Isolation. Nur in den ewig gleichen Gesprächen mit seiner Mutter entwickelt er auch mal Aufbegehren, Widerstand.

Gründe für Hs Rückzug werden nur angedeutet. Ein abwesender Vater, ein ehemaliger Polizist, der zum Alkoholiker wurde und seine Frau und vielleicht auch seinen Sohn verprügelt hat. Die ganz allgemeinen Überforderungen im Beruf, beim Jobcenter, die Angst vor Veränderung.
„Im Sog- Hikikomori“ ist kein Psychogramm und auch kein Soziogramm von einer Gesellschaft in permanenter Überforderung. Es ist der Versuch der literarisch-theatralen Situationsbeschreibung  einer Stagnation.  Auch wenn die 7 Szenen jeweils neue Anläufe nehmen, ist das Entwicklungs- und Erkenntnispotential nicht hoch. Aber es ist ein Abend voller Empathie für einen Menschen, der sich in einer für Außenstehende schwer verständliche Situation manövriert hat.
Und das ist ausreichend für nur 45 Minten Spieldauer und den Begabungsnachweis und das Know-how einer jungen Autorin und Regisseurin in der Ausbildung.

Selbstisolation: Emma Mae Zichs „Im Sog-Hikikomori“ im Studio des Stadttheaters Ingolstadt